Malte Boecker leitet das Beethoven-Haus in Bonn und steht vor großen Aufgaben: Viele junge Menschen kennen Ludwig van Beethoven nicht mehr und asiatische Besucher erwarten ein internationales Museum.
Beethoven rennt über eine Schnellstraße. Es ist Nacht, die Lichter der Scheinwerfer und Straßenlampen blenden ihn. Eine Frau im Abendkleid läuft hinter ihm her, ruft, er solle stehen bleiben. Beethoven dreht sich um. Er sieht, wie die roten Lippen der Frau sich bewegen. Aber es dringen nur gurgelnde Geräusche an sein Ohr.
Das ist die Anfangsszene des neuen Fernsehfilms „Die Akte Beethoven“. Schon knapp zwei Monate vor seiner Erstausstrahlung am 30. Oktober im Kultursender „Arte“ hatte er im Bonner Beethoven-Haus Premiere. Es ist eine Mischung aus Spielszenen, Dokumentarfilm und Animationen sowie gezeichneten Bildern wie aus einem anspruchsvollen Comic.
„Beethoven ist ja ein Mythos“, sagt Regisseurin Hedwig Schmutte, „über den man vieles weiß, vieles aber auch nicht. Wir wollen den mal vom Sockel holen und nachspüren, was für ein Mensch er eigentlich gewesen ist.“
Das passt gut zu den Ideen von Malte Boecker fürs Beethoven-Haus. Anderthalb Jahre leitet der große, smarte 43-Jährige nun schon das Museum, das mehr sein will als eine Gedenkstätte: „Eine lebendige kulturelle Einrichtung“, wie Boecker sagt.
Zurück an den Rhein
Für den Juristen und Kulturmanager ist es eine Rückkehr. Er hat in Bonn studiert, an der traditionsreichen Friedrich-Wilhelm-Universität, kaum fünf Minuten vom Beethoven-Haus entfernt. Dann arbeitete er in Weimar, im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt. Boecker war dabei, als Daniel Barenboim und Edward Said das inzwischen legendäre „West-Eastern Divan Orchestra“ gründeten. Der Dialog der Kulturen war auch ein Schwerpunkt von Boeckers Arbeit seit der Jahrtausendwende bei der Bertelsmann-Stiftung.
Nun also Bonn. Beethoven. Eine Position, die man nicht so schnell wieder verlässt. Locker erzählt Boecker von seinen Planungen für das Jahr 2020, den 250. Geburtstag des großen Ludwig van. Das ist das Jahr, auf das vieles in der ehemaligen Bundeshauptstadt zuläuft. Im Beethovenhaus soll dann eine neue Dauerausstellung fertig sein. Die jetzige Schau ist 17 Jahre alt. „Sie vertraut noch sehr auf die auratische Wirkung der Exponate“, sagt Boecker.
Die Macher gingen noch davon aus, dass Besucher erschauern, wenn sie Beethovens Hörrohr sehen, ein ganz einfaches, grobes Ding übrigens. „Doch heute kann man weniger voraussetzen.“ Boecker drückt sich diplomatisch aus. Vor allem Schüler wissen oft kaum noch etwas über Beethoven. „Darauf müssen wir reagieren. Wir sollten in der Ausstellung Beethovens Ringen mit seiner Taubheit und seinem Werk erfahrbar machen. Erst dann werden wir auch ein junges Publikum berühren.“
Ein Rebell jenseits von Eden
Das ist auch das Ziel des neuen Beethovenfilms. Der Berliner Theaterstar Lars Eidinger spielt den Komponisten, mit flackernden Blicken, gehetzt, leidend, ein angeschmuddelter James Dean. Ein Rebell jenseits von Eden, in dessen Innerem wundervolle Musik entsteht. Doch das wahre Leben ist nur noch ein Terror aus gruseligen Lauten, gleißenden Lichtern, Überforderungen.
Die Spielszenen dieses heutigen Beethoven, ganz ohne historische Kostüme und Dekors, haben ihren Reiz. Doch dazwischen gibt es doch wieder das gute, alte Schulfernsehen. Musiker erklären, warum Beethoven toll ist. Und Wissenschaftler fassen seine wichtigsten Werke kurz zusammen. Das ist schade. Entweder assoziativer Zugang oder Bildungsstunde – beides zusammen verträgt der knapp einstündige Film nicht.
Der Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses ist allerdings ein perfektes Umfeld für die Filmpremiere. Es hat schon etwas Besonderes, die vielen historischen Instrumente in unmittelbarer Nähe zu wissen. Die Hammerklaviere, auf denen Beethoven gespielt hat, über tausend Handschriften, darunter einige, die auch im Film zu sehen sind. Das berühmte Heiligenstädter Testament von 1802, in dem der damals 32-Jährige seinen Brüdern von der beginnenden Taubheit und von Todesahnungen berichtete, befindet sich allerdings seit 1888 in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Das Bonner Beethoven-Haus wurde erst ein Jahr danach gegründet.
Wenige Arbeiten in Schönschrift
Dennoch ist das Archiv ein riesiger Schatz. Seit den Sechzigerjahren arbeiten vier fest angestellte Musikwissenschaftler und einige freie Editoren an einer neuen kritischen Gesamtausgabe. „Ein Mehrgenerationenprojekt“, sagt Malte Boecker. „Es gibt von Beethoven ähnlich viele Werke ohne wie mit Opuszahl. In dieser Ausgabe werden alle bekannten Quellen berücksichtigt.“ Es wird noch eine Weile dauern, bis sie vollendet ist, denn „von Beethoven sind unendlich viele Skizzen und Überarbeitungen überliefert – und die wenigsten in Schönschrift“.
Doch es geht Malte Boecker nicht nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Sondern auch um die Zukunft. Sein Projekt ist es, neben den vielen pädagogischen Aktivitäten für Schulen auch junge professionelle Musiker und Musikwissenschaftler zu fördern. Wenn sie sich intensiv mit Beethoven beschäftigen wollen, bekommen sie Arbeitsaufenthalte in Bonn gesponsert und einen privilegierten Zugang zum Museum.
Einer von ihnen war Sunwook Kim, ein junger koreanischer Pianist, der bereits mehrfach sämtliche Sonaten Beethovens in Südkorea aufgeführt hatte. Derzeit arbeitet ein junges Streichquartett-Ensemble aus England in Bonn, das ein großes Projekt vorbereitet.
Besucherströme aus Asien
Das Publikum wird immer internationaler. Ein Großteil der jährlich 100.000 Besucher stammt inzwischen aus Asien. Wovon allerdings die Stadt Bonn als Tourismusort nur wenig hat. Denn die Busse mit Asiaten fahren auf ihren Europatouren mehrere Orte pro Tag ab, halten kurz in der Nähe des Beethoven-Hauses, die Leute sausen ins Museum und dann wieder rein in den Bus und fahren weiter.
Nachhaltigere Verbindungen entstehen hingegen in Bonn selbst. Malte Boecker will etwa die Zusammenarbeit mit dem Theater, dem Beethoven-Orchester und dem Beethovenfest intensivieren. Erste Kontakte zur neuen Leiterin Nike Wagner gibt es schon. Auf sie setzen die Bonner große Hoffnungen, was das Jubiläumsjahr 2020 angeht.
Aber schon im nächsten Jahr steht ein fast runder Geburtstag des Beethoven-Hauses an. Dann feiert es sein 125- jähriges Bestehen. Da muss Boecker dem tausendköpfigen Trägerverein auch schon etwas Besonderes bieten. In den vergangenen Tagen war Tabea Zimmermann in Bonn, die weltberühmte Bratschistin. Gerade hat sie in Berlin das Publikum mit einem Violafest begeistert und eine CD mit weitgehend unbekannten Stücken von Paul Hindemith aufgenommen. Sie ist die neue Vereins-Vorsitzende des Beethoven-Hauses und will im Kammermusiksaal neue Akzente setzen.
Zeitreise mit Beethovens Bratsche
Für Boecker schließt sich da ein Kreis. „Der erste Vorsitzende des Beethoven-Hauses war der berühmte Geiger Joseph Joachim. Er spielte hier auch viele Kammermusikabende.“ Dann kamen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der Bankier Hermann-Josef Abs und zuletzt der Dirigent Kurt Masur, der aus gesundheitlichen Gründen aufgehört hat.
Tabea Zimmermann pflegt schon seit längerem eine enge Verbindung zum Beethoven-Haus. Vor zwölf Jahren spielte sie zum ersten Mal eine restaurierte Bratsche Beethovens. „Dabei habe ich in gewisser Weise eine Zeitreise gemacht“, erzählt sie. „Es war schon eine große Ehre, die Schwingungen wiederbeleben zu dürfen, die da schon mal angelegt waren.“
Nicht nur die Schwingungen einer alten Bratsche, sondern eines epochemachenden Komponisten wiederzubeleben – das ist die große Herausforderung für das Beethoven-Haus.